FOKUS
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Veröffentlicht am 17.07.18
Paris wird im November die Hauptstadt der Internet Governance - IGF 2018 in Frankreich
Jutta Croll
Das 13. Internet Governance Forum wird vom 12. bis 14. November 2018 in Paris, Frankreich stattfinden, Gastgeber ist die französische Regierung. Das Treffen wird parallel zum Pariser Friedensforum, welches vom 11. bis 13. November stattfindet, am Sitz der UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) veranstaltet. In seiner Ankündigung betonte der französische Präsident Emmanuel Macron, wie wichtig es sei, das IGF in Paris zu begrüßen, um "gemeinsame Ideen auszutauschen" und die Diskussionen über internationale Fragen der Internetpolitik voranzutreiben. Angesichts der schnellen Entwicklungen im Bereich des Internet sind Austausch von Ideen und Zusammenarbeit so wichtig wie nie zuvor, um weitere Fortschritte im Bereich der Netzpolitik zu erzielen.
Die Verantwortung für das Programm des Internet Governance Forums sowie für die vielfältigen Aktivitäten, die zwischen den jährlichen Treffen stattfinden, liegt in den Händen der 55-köpfigen Multistakeholder Advisory Group (MAG), die vom Generalsekretär der Vereinten Nationen ernannt wurde, um ihn in diesen Fragen zu beraten. Dem Gremium gehört seit März 2018 auch die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Digitale Chancen, Jutta Croll, an. Als Vertreterin der Zivilgesellschaft wird sie in den nächsten drei Jahren die Advisory Group durch ihre Expertise unterstützen, dabei insbesondere Themen aus dem Bereich Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt bearbeiten und ihre Erfahrungen als Mitglied der im Jahr 2007 beim IGF in Rio de Janeiro gegründeten Dynamic Coalition on Child Online Safety einbringen.
Die Multistakeholder Advisory Group kam vom 11. bis 13. Juli in Genf zu ihrem zweiten diesjährigen Treffen zusammen, um über das Programm und die Auswahl der Workshops für das IGF 2018 zu beraten. 344 Vorschläge aus aller Welt waren innerhalb der vierwöchigen Frist eingereicht worden. Bei der Gestaltung des IGF-Programms folgt die MAG strikt dem Prinzip der Diversität im Hinblick auf regionale Herkunft, Akteursgruppen und Geschlecht sowie inhaltliche Vielfalt. Zu den internetpolitischen Themen, mit denen sich die Teilnehmenden des Internet Governance Forums 2018 befassen werden, gehören Cybersicherheit, Datenschutz, neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge, Menschenrechte und die Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs). Diese Themen wurden durch einen weltweiten Aufruf zur Beteiligung, den die MAG im April veröffentlichte, definiert. So ist gewährleistet, dass die Hauptsitzungen im Plenum sowie die Workshops und anderen Session-Formate des IGF sich mit den Fragen beschäftigen, die derzeit international in der Netzpolitik eine hohe Relevanz haben.
Das IGF ist als offene Multistakeholder-Veranstaltung für globale Internet-Politikdiskussionen eine einzigartige Plattform. Nach dem World Summit of Information Society (WSIS) 2003 in Genf und 2005 in Tunis war das IGF von den Vereinten Nationen für einen Zeitraum von fünf Jahren initiiert worden, um sich mit den durch WSIS aufgeworfenen Fragen zu befassen. In 2010 wurde das Mandat zunächst um weitere fünf und Ende 2015 um weitere zehn Jahre bis 2025 verlängert. Die bisherigen IGF-Treffen haben zwischen 2.000 und 3.000 Teilnehmende aus allen Regionen der Welt angezogen, darunter Vertreter*innen von Regierungen, der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und des technischen Sektors. Das 14. Internet Governance Forum wird auf Einladung der deutschen Bundesregierung im November 2019 in Berlin stattfinden. Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind schon heute dazu eingeladen, sich in den Multistakholderprozess einzubringen und Ideen sowie Themen für das Programm zu entwickeln. Mehr Informationen sind zu finden auf der Website des IGF unter https://www.intgovforum.org/.
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Veröffentlicht am 05.07.18
Empfehlungen des Europarats zur Umsetzung von Kinderrechten in der digitalen Welt
Jutta Croll
Wie die Rechte des Kindes im digitalen Umfeld besser geachtet, geschützt und erfüllt werden können, steht im Mittelpunkt der neuen Empfehlung, die am 4. Juli 2018 vom Ministerkomitee des Europarates angenommen wurde.
Als im April 2016 der Europarat die Sofia-Strategie zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention verabschiedete, wurde zum ersten Mal die Stärkung der Kinderrechte in der digitalen Welt berücksichtigt und als eine der fünf Säulen der Strategie verankert. Angesichts des schnell voranschreitenden Prozesses der Digitalisierung des Lebensalltags auch von Kindern ist dies ein wichtiger Schritt, um zu gewährleisten, dass Kinderrechte auch im digitalen Umfeld respektiert werden.
Den aus der Sofia-Strategie resultierenden Auftrag hat der Europarat einer Gruppe von Expertinnen und Experten - der CAHENF-IT, der in Vertretung des Projekts Kinderrechte.digital auch Jutta Croll angehört - übertragen, die in den vergangenen 18 Monaten die Konsequenzen der Digitalisierung für die Verwirklichung der Kinderrechte in den Blick genommen und Empfehlungen für eine kindgerechte Umsetzung formuliert hat. Aufbauend auf internationalen und europäischen Rechtsinstrumenten enthält der Text umfassende Leitlinien für das Handeln der europäischen Regierungen.
Das digitale Umfeld prägt das Leben der Kinder in vielerlei Hinsicht und schafft Chancen und Risiken für ihr Wohlergehen und ihre Wahrnehmung der Menschenrechte. Den Regierungen wird empfohlen, ihre Rechtsvorschriften, Politiken und Praktiken zu überprüfen, um sicherzustellen, dass diese das gesamte Spektrum der Rechte des Kindes angemessen berücksichtigen. Die Staaten sollten auch sicherstellen, dass Unternehmen und andere wichtige Partner ihrer Verantwortung für die Menschenrechte nachkommen und bei Verstößen zur Rechenschaft gezogen werden.
Ein schlechter Zugang zur digitalen Welt kann die Fähigkeit von Kindern beeinträchtigen, ihre Menschenrechte in vollem Umfang wahrzunehmen. Die Staaten sollten sicherstellen, dass Kinder einen angemessenen, erschwinglichen und sicheren Zugang haben zu Geräten, Konnektivität und zu Inhalten, die speziell für Kinder bestimmt sind; an geeigneten öffentlichen Orten sollte dieser Zugang kostenlos gewährt werden. Allerdings sollten auch geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um Säuglinge vor einer zu frühen Konfrontation mit der digitalen Umwelt zu schützen.
Die Staaten sollten das Recht des Kindes auf freie Meinungsäußerung garantieren, unabhängig davon, ob seine Meinung vom Staat oder von anderen Beteiligten positiv aufgenommen wird. Als Urheber und Vertreiber von Informationen sollten Kinder von den Staaten darüber aufgeklärt werden, wie sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung im digitalen Umfeld wahrnehmen, wie sie die Rechte und die Würde anderer achten, und sie sollten über die legitimen Einschränkungen der Meinungsfreiheit informiert werden, die beispielsweise dazu dienen, Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums zu verhindern und der Aufstachelung zu Hass und Gewalt entgegenzuwirken. Es ist wichtig, qualitativ hochwertige, auf Kinder zugeschnittene Inhalte bereitzustellen.
Die Staaten sollten auch Maßnahmen ergreifen, um das Recht der Kinder auf Spiel, auf friedliche Versammlung und Vereinigung zu schützen und die Teilnahme, Integration, digitale Staatsbürgerschaft und Widerstandsfähigkeit sowohl online als auch offline zu fördern.
Die Staaten müssen das Recht des Kindes auf Privatsphäre und Datenschutz respektieren, schützen und erfüllen. Staaten sollten Anonymität, Pseudonymität oder die Verwendung von Verschlüsselungstechnologien für Kinder nicht gesetzlich verbieten oder praktizieren. Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nur mit ausdrücklicher und informierter Zustimmung der Kinder und/oder ihrer Eltern oder gesetzlichen Vertreter möglich sein. Profiling von Kindern zur Analyse oder Prognose ihrer persönlichen Präferenzen sollte gesetzlich verboten sein.
Maßnahmen zur Stärkung der digitalen Kompetenz, einschließlich des kritischen Verständnisses der Kinder für das digitale Umfeld, und Bildungsressourcen sollten gefördert werden. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der neue Technologien entstehen, werden in den Leitlinien auch Maßnahmen vorgeschlagen, um den Risiken für Kinder im digitalen Umfeld zu begegnen. Dazu gehören regelmäßige Risikobewertungen, der Einsatz wirksamer Systeme zur Altersverifikation, die Einführung von Standards für Produkte/Dienstleistungen für Kinder, der Schutz von Kindern vor kommerzieller Ausbeutung, altersunangemessene Werbung und Marketing, schädliche Inhalte und Verhaltensweisen, sexuelle Ausbeutung und Missbrauch, Anbahnung von Kontakten in sexueller Absicht, Rekrutierung für die Begehung von Straftaten oder die Teilnahme an extremistischen politischen oder religiösen Bewegungen, Menschenhandel sowie Mobbing, Stalking und andere Formen der Belästigung.
Zugängliche, erschwingliche und kinderfreundliche Wege zur Einreichung von Beschwerden und zur Suche nach gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfen sollten für Kinder und ihre Vertreter gewährleistet sein.
Mit den Guidelines liegt erstmals ein völker- und europarechtlich unterlegtes Instrument vor, um den digitalen Wandel im Hinblick auf ein gutes Aufwachsen mit digitalen Medien zu begleiten. Die Empfehlungen bieten Akteurinnen und Akteuren auf allen Ebenen - sei es in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder der pädagogischen Praxis - eine Grundlage dafür, das Kind in den Mittelpunkt zu stellen und geeignete Maßnahmen für Schutz, Befähigung und Teilhabe von Kindern in der digitalen Welt umzusetzen.
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Veröffentlicht am 18.12.17
Kinderschutz und Internet Governance - ein kurzer Blick zurück und nach vorn
Jutta Croll, Stiftung Digitale Chancen
Auch 2006, als das IGF noch in den Kinderschuhen steckte, stand das Thema Kinderschutz schon auf der Agenda des Forums. Nicht unbedingt an erster Stelle und auch nicht konfliktfrei. Strategien, die darauf zielten, den Zugang von Kindern zu für sie potentiell schädlichen Inhalten im Internet zu verhindern, waren umstritten und riefen insbesondere die Freedom of Speech Community auf den Plan. Im Laufe der Jahre gewann die Frage der Befähigung von Kindern und Jugendlichen für einen sicheren und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Internet an Bedeutung. Das spiegelte sich auch in zahlreichen Aktivitäten zur Beteiligung von Jugendlichen selbst am Internet Governance Forum.
Ebenfalls von Beginn war das Thema Menschenrechte in den IGF Veranstaltungen verankert, und zwar deutlich weniger kontrovers als das Thema Jugendschutz. Aber erst durch den 2015 von Jasmina Byrne, John Carr und Sonia Livingstone Bericht One in Three - Internet Governance and Children’s Rights, der belegt, dass weltweit ein Drittel der Internetnutzer 18 Jahre alt ist, wurde die Relevanz der Teilhabe junger Menschen an den sie betreffenden Internet Governance Prozessen deutlich gemacht.
Schon vor der offiziellen Eröffnung des zwölften Internet Governance Forums war im Rahmen der Vorkonferenz am so genannten Day Zero eine vom Europarat organisierte dreistündige Debatte der Medienkompetenzerziehung gewidmet.
Frank La Rue, der frühere UN Special Rapporteur für das Recht auf freie Meinungsäußerung, eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis darauf, dass jeder Technologiefortschritt einen großartigen Schub für die Menschheit bedeute, zugleich aber auch seine je eigenen Gefahren und Fallstricke mit sich bringe. Darauf müsse die Gesellschaft reagieren. Sicher gebe es einige Inhalte, die nach geltendem Recht illegal seien, wie z. B. so genannte Kinderpornographie, auf die man auch mit Zensur reagieren könne. Die eigentliche Herausforderung liege aber darin, Kinder und Jugendliche selbst sowie diejenigen, die für ihre Erziehung verantwortlich sind, für die sichere und verantwortungsvolle Nutzung des Internet zu befähigen. Dafür seien enorme Qualifizierungskampagnen notwendig. Villano Qiriazi vom Europarat berichtete über einen Kompetenzrahmen für demokratische Kultur, der im gesamten Bildungswesen etabliert werden müsse. Heute haben noch nicht alle jungen Menschen die gleichen Chancen auf digitale Bürgerschaft. Aber die Entwicklung immer kostengünstigerer Technologien verschiebe das Problem der digitalen Spaltung weg von der Frage des Zugangs und hin zur Frage der Fähigkeiten und Kompetenzen. Beteiligung und sichere Nutzung der Technologien, sind, so Villano Qiriazi eng verbunden mit Werten und Prinzipien. Diese müssten im Rahmen von Bildung und Erziehung ebenfalls vermittelt werden, damit gleichberechtigte Teilhabe möglich wird.
Zum Abschluss der Diskussion befassten sich die Teilnehmenden mit den im Digital Citizenship Education Projekt des Europarates definierten zehn Themen der Bildung für eine aktive Bürgerschaft in der digitalen Welt, mehr dazu ist zu finden unter Digital Citizenship Education Projekt.
Insgesamt war dies ein guter Auftakt für spannende Diskussionen beim diesjährigen IGF, wenngleich die Debatte keinen Zweifel daran ließ, dass in erster Linie die Befähigung von Kindern und Jugendlichen als Schlüssel zur Wahrung ihrer Rechte und ihres Schutzes angesehen wird. Deshalb bleibt es spannend, wie diese Debatte in den nächsten Tagen fortgesetzt wird, ob das Hohelied des Multistakeholderism weiter den Ton angibt, welche Akteure bereit sind, die Verantwortung für die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen zu übernehmen und welche Rolle die Unternehmen dabei spielen werden.
Weitere Berichte von den nächsten Tagen des IGF sind veröffentlicht unter: Aktuelles
Weitere Inhalte zu: Internet Governance | Jugendmedienschutz -
Veröffentlicht am 20.11.17
20. November 2017: Heute ist Internationaler Tag der Kinderrechte
Jutta Croll
Heute ist Internationaler Tag der Kinderrechte, die UN-Kinderrechtskonvention feiert ihren 28. Geburtstag. Seit der Verabschiedung der Kinderrechte hat sich die Welt verändert, Internet, Apps und Onlinespiele sind für Kinder heute eine Selbstverständlichkeit. Sie bringen neue Möglichkeiten des Spielens und Lernens und können die Rechte von Kindern stärken, aber sie bergen auch Gefahren.
Wer Kinderrechte heute verstehen und verwirklichen will, muss die Chancen und Risiken der Digitalisierung mitdenken und sich auf die digitalisierte Lebenswelt von Kindern einlassen. Jedes Kind hat das Recht auf Zugang zu digitalen Medien, auf Bildung mit digitalen Medien und die Vermittlung von Medienkompetenz. Das Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit wird ganz klar durch das Internet gestärkt, aber dabei muss auch der Schutz vor neuen Formen und Phänomenen der Diskriminierung, beispielsweise Cyber-Mobbing oder Hate Speech, gewährleistet sein. Die Kinderrechtskonvention garantiert das Recht auf Freizeit, Spiel und Teilhabe, aber bisher sind digitale Spielplätze für Kinder (noch) keine Selbstverständlichkeit. Die Privatsphäre von Kindern ist durch das Internet verletzlicher geworden, Gewalt und Missbrauch finden auch online statt. Deshalb muss das digitale Umfeld Schutzmechanismen bereitstellen, die das Alter und die Fähigkeit der Kinder berücksichtigen.
Am Weltkindertag 2017 ist es Zeit, die Kinderrechte in der digitalen Welt zu stärken. Denn für Kinder stellt das Internet die Welt nicht auf den Kopf, sondern macht sie größer, bunter und vielfältiger.
Im Zuge der internationalen Kooperation hat das Projekt Kinderrechte.digital vom 3. bis 6. Oktober 2017 am Weltkongress zur Würde des Kindes, veranstaltet von der Päpstlichen Gregorianischen Universität in Rom, teilgenommen und ein Programm zur Umsetzung der „Erklärung von Rom“, die zum Abschluss in einer Audienz Papst Franziskus präsentiert wurde, entwickelt. Die Erklärung fordert Regierungen, Wirtschaftsunternehmen und die Zivilgesellschaft dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Rechte und der Würde von Kindern in der digitalen Welt sicherzustellen. Die Erklärung von Rom kann hier nachgelesen werden.
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Veröffentlicht am 21.09.17
Zeitgemäßer Jugendschutz im Internet
Jutta Croll
Jugendschutz muss alle Lebensbereiche von Kindern umfassen, einen sicheren Alltag in der realen Umwelt ebenso wie ein gutes Aufwachsen mit Medien. Der in den Artikeln 19 sowie 34 und 36 der UN-Kinderrechtskonvention geforderte Schutz von Kinder vor Gewalt, sexuellem Missbrauch und Ausbeutung muss daher heute im Hinblick auf Risiken, die durch das Internet entstehen oder verstärkt werden können, neu interpretiert und angewandt werden. Aber wie kann zeitgemäßer Jugendschutz im Internet aussehen? Was sind die Voraussetzungen dafür, dass Kinder das Internet für Information und Teilhabe, Lernen und Spiel nutzen können, ohne unangemessenen Gefährdungen ausgesetzt zu sein? Und welche Rolle spielt dabei der Schutz der Daten von Kindern und Jugendlichen?
In den Anfangsjahren des Internets galten Filterprogramme als geeignetes Instrument. Software, die mit Hilfe von Wortlisten bestimmte Inhalte identifiziert und den Zugang dazu sperrt, wurde zunächst aber nicht vorrangig für den Schutz von Kindern vor gewalthaltigen oder pornographischen Bildern und Texten entwickelt. Sie diente vielmehr schon damals in Unternehmen dazu, die unerwünschte Nutzung bestimmter Webseiten durch die Mitarbeitenden während der Arbeitszeit zu verhindern. Die Filterung der Inhalte erfolgt auf der Basis von Wortlisten einerseits und URL- oder Domainnamenlisten andererseits. Diese Art von Filterprogrammen wurde jedoch von Beginn an vom Vorwurf der Zensur begleitet. Die im Interesse des Jugendschutzes berechtigte Verhinderung des Zugangs wurde als mögliches Einfallstor für eine weiterreichende Einschränkung des Rechts auf Informationsfreiheit angesehen.
Die Debatte, ob die Filterung von Inhalten ein angemessenes Instrument für einen zeitgemäßen Jugendschutz darstellt, spiegelt sich auch in der im zeitlichen Verlauf sich ändernden Bezeichnung entsprechender Softwareprodukte wider. In dem 2005 veröffentlichen Beschluss des europäischen Parlaments über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der sichereren Nutzung des Internets und neuer Online-Technologien (854/2005/EG) werden Filtertechnologien als Instrument zur Bekämpfung unerwünschter und schädlicher Inhalte (filtering technologies for tackling unwanted and harmful content) ausdrücklich so benannt. Mit der Umsetzung des Gemeinschaftsprogramms wurde von der Europäischen Kommission unter dem Titel SIP Benchmark ein vergleichendes Testverfahren für diese Technologien ausgeschrieben und beauftragt. Dem in 2009 von Deloitte vorgelegten ersten Benchmark Report folgte eine erneute Ausschreibung durch die Kommission im gleichen Jahr. Darin wurden die zu evaluierenden Softwareprodukte nun als „Parental Control Tools“, d. h. als Instrumente der elterlichen Kontrolle bezeichnet, was die Assoziation mit der Zensur von Inhalten deutlich weniger nahelegt. Gleichzeitig wurde mit dieser neuen Bezeichnung der elterlichen Verantwortung für den Schutz der Kinder bei der Internetnutzung eine höhere Priorität gegeben. Die Untersuchungen der beiden folgenden Benchmarks, SIP II und SIP III, wurden daher stärker darauf ausgerichtet, Eltern und andere pädagogisch verantwortliche Personen bei dieser Erziehungsaufgabe zu unterstützen. Neben der Filterwirkung wurde auch geprüft, ob die Programme leicht zu umgehen sind, welche Funktionalitäten sie zusätzlich zur Filterung bieten und wie gut die Bedienbarkeit ist. Eine gute Filterwirkung konnte bei vielen Produkten nur für englischsprachige Inhalte mit sexueller Konnotation bescheinigt werden; gewalthaltige oder sonstige problematische Inhalte werden weniger gut von den Programmen erkannt, vielfach werden auch erwünschte Inhalte von den Programmen blockiert. Parallel zu Bemühungen, die Filterleistung zu verbessern, haben die Hersteller ihre Produkte auch technisch weiterentwickelt und um Funktionalitäten, wie Kontrolle und Einschränkung von Nutzungszeiten oder Monitoring des Nutzungsverhaltens - auch remote über ein zweites Endgerät in den Händen der Eltern - erweitert.
Ab Mitte der 2000er Jahre entstanden neue Möglichkeiten der Kommunikation und Gestaltung von Inhalten über das Internet, die als Web 2.0 bezeichnet und unter dem Stichwort ‚User Generated Content’ diskutiert wurden. Heute sind es vor allem Social-Media-Anwendungen, die die Plattformen für Interaktionen von Nutzerinnen und Nutzern bereitstellen. Technische Jugendschutzprogramme, die Inhalte auf der Basis von Wort- und Domainlisten filtern, können jedoch weder den großen Mengen an von den Nutzerinnen und Nutzern selbst generierten Inhalten gerecht werden, noch sind sie in der Lage, die daraus resultierenden Interaktionsrisiken umfassend zu adressieren. Hierin liegt ein neues Gefährdungspotenzial für Kinder, das eine große Herausforderung für den zeitgemäßen Jugendschutz im Internet darstellt. Die technischen Schutzinstrumente kommen mit der rasanten Innovation digitaler Anwendungen häufig nicht schnell genug mit.
Die UN-Kinderrechtskonvention gibt mit den Formulierungen in Artikel 3 dem Kindeswohl oberste Priorität bei allen Entscheidungen, die das Kind betreffen. Artikel 5 verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, das Elternrecht zu respektieren und formuliert gleichzeitig an die für die Erziehung des Kindes verantwortlichen Personen den Anspruch, „das Kind bei der Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen.“ Für viele Erziehungsverantwortliche ist es ausgesprochen schwierig zu entscheiden, was eine der Entwicklung des Kindes entsprechende Weise des angemessenen Leitens und Führens in Bezug auf die Internetnutzung des Kindes bedeutet. Das I-KiZ - Zentrum für Kinderschutz im Internet hat sich mit dieser Frage befasst und das Modell des Intelligenten Risikomanagements entwickelt. Zeitgemäßer Jugendmedienschutz stützt sich auf die drei Säulen ‚Gestaltung der Angebote’, ‚Technische Instrumente des Jugendschutzes’ und ‚Medienkompetenz’. Je nach Alter des Kindes sind diese Säulen unterschiedlich tragfähig. Für jüngere Kinder können technische Instrumente eine höhere Schutzwirkung entfalten, mit zunehmendem Alter wächst die Medienkompetenz und es steigt die Eigenverantwortlichkeit. Für Jugendliche sollte die Fähigkeit zum Selbstrisikomanagement durch medienpädagogische Maßnahmen entwickelt und durch die Gestaltung der Angebote unterstützt werden. Wozu Kinder und Jugendliche ab welchem Alter selbstständig in der Lage sind, welche Entscheidungen sie treffen und welche Risiken sie abwägen können, ist individuell unterschiedlich und von den persönlichen Voraussetzungen abhängig. Gerade im Hinblick auf das Internet und die Nutzung digitaler Medien ist es daher erforderlich, Eltern Orientierung zu bieten. Vielfach sind sie mit den digitalen Angeboten, mit der Nutzung von Social-Media-Plattformen und digitalen Diensten weniger vertraut als ihre Kinder und benötigen daher nicht nur technische Schutzinstrumente, sondern auch pädagogische Empfehlungen als Leitplanken für die Sicherheit.
Am 25. Mai 2018 tritt in Europa die Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) in Kraft, die die Erfassung, Speicherung und Verarbeitung personenbezogener Daten regelt. In Erwägungsgrund 38 wird erstmals der besondere Schutzbedarf von Kindern in Bezug auf ihre Daten anerkannt. Art. 8 regelt dementsprechend die Bedingungen für die Einwilligung eines Kindes in Bezug auf Dienste der Informationsgesellschaft. Für Kinder, die das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist mit Inkrafttreten der DSGVO die Einwilligung der Eltern in die Nutzung von „Diensten der Informationsgesellschaft, die direkt einem Kind gemacht werden“, erforderlich. Gleichzeitig räumt die DSGVO den EU-Mitgliedsstaaten ein, durch nationalstaatliche Rechtsvorschriften eine niedrigere Altersgrenze festzulegen, die jedoch nicht unter dem vollendeten dreizehnten Lebensjahr liegen darf. Überall in Europa befassen sich inzwischen Menschen aus dem Bereich der Medienpädagogik, der Medienwissenschaft und des Datenschutzes sowie der Technik zur Authentisierung und Altersverifikation damit, welche Altersgrenze sinnvoll und angemessen erscheint. Das Projekt kinderrechte.digital und die Koordinierungsstelle Kinderrechte beim Deutschen Kinderhilfswerk führen derzeit Gespräche mit Expertinnen und Experten, um eine Wissensbasis zu den durch die DSGVO aufgeworfenen verschiedenen Fragen in Bezug auf Kinderschutz und Kinderrechte aufzubauen. Damit wollen wir einen Beitrag zu einem zeitgemäßen Jugendschutz im Internet leisten und ein Stück Leitplanke für die Sicherheit von Kindern im Internet bereitstellen. Über die Ergebnisse werden wir Sie hier auf dem Laufenden halten - stay tuned!
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Veröffentlicht am 22.05.17
Die Welt verändert sich - Über das Aufwachsen in der digitalen Welt
Jutta Croll
Im Jahr 1989 wurde die Kinderrechtskonvention von den Vereinten Nationen (UN-KRK) verabschiedet. Inzwischen ist die Konvention von 195 Staaten weltweit ratifiziert worden und damit das am häufigsten anerkannte Menschenrechtsdokument der UN. Jungen Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soll mit der Kinderrechtskonvention besonderer Schutz gewährt werden. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich zur Umsetzung und Gewährleistung der in den 41 Artikeln des völkerrechtswirksamen Vertragswerks festgeschriebenen Freiheits- und Schutzrechte.
Menschenrechte stehen jedem Menschen gleichermaßen zu, ungeachtet des Alters. Der UN-Kinderrechtskonvention liegt die Überlegung zugrunde, dass es für das Wohlergehen von Kindern unter 18 Jahren wichtig ist, ihre Rechte besonders hervorzuheben, sie zu schützen und die dazu erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Zeitgleich mit der UN-KRK wurde am CERN Forschungszentrum in Genf durch Tim Berners-Lee das World Wide Web entwickelt. Der Programmcode, der eigentlich für den Austausch von Informationen unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschrieben wurde, hat die Nutzung des Internet für jede und jeden ermöglicht. Global betrachtet sind heute mehr als 3 Mrd. Menschen regelmäßig mit dem Netz verbunden und nutzen Onlineservices. Ein Drittel der Internetnutzerinnen und nutzer weltweit ist unter 18 Jahre alt und damit im Sinne der UN-KRK ein Kind. In Deutschland haben laut den Erhebungen der KIM- und JIM-Studien 97 Prozenz der Kinder und Jugendlichen im Alter von sechs bis 19 Jahren zu Hause Zugang zum Internet. Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass die Digitalisierung schon heute den Alltag von Kindern maßgeblich beeinflusst, in positiver und in negativer Weise.
Die Vereinbarungen der Kinderrechtskonvention beziehen sich auf alle Lebensbereiche, sie geben Kindern bestimmte Rechte und setzen einen Regelungsrahmen, um diesen Anspruch zu gewährleisten. Für einige Artikel wie z.B. das Recht auf freie Meinungsäußerung (
) und das Recht auf Zugang zu Informationen (Art. 17) sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wahrnehmung der darin benannten Rechte offenkundig. Bei anderen Artikeln ist es erforderlich, genauer zu hinterfragen, welche Auswirkungen die digitalisierte Lebenswelt von Kindern auf die Ausübung der Freiheits- und Schutzrechte hat oder welche Möglichkeiten die Digitalisierung für ein erweitertes Verständnis der gewährten Rechte eröffnet. Zu letzterem zählt zum Beispiel das in Art. 12 genannte Mitspracherecht. Die angemessene Berücksichtigung der kindlichen Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten kann mittels digitaler Medien erheblich vereinfacht werden. Die Fähigkeit von Kindern, ihre eigene Position zu bestimmten Gegenständen zu entwickeln und zu äußern, wächst mit ihrem Alter. Partizipationsangebote im Internet können diesen Lern- und Entwicklungsprozess unterstützen und begleiten und so der Stimme von Kindern jeden Alters Gehör verschaffen. Auch die in Artikel 15 definierte Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit kann von Kindern ungeachtet ihres Aufenthaltsortes oder ihrer sozialen Herkunft durch das Internet und über Social Media Plattformen in vielfältiger Weise wahrgenommen werden. Ebenso eröffnen digitale Medien neue Möglichkeiten, das Recht auf Bildung durch Angebote des Onlinelernens zu erweitern. Artikel 31 betont das Recht von Kindern auf Spiel, Freizeit und Zugang zu kulturellen Angeboten; alle drei Bereiche werden von Kindern heute in zunehmendem Maß über digitale Angebote wahrgenommen. Die Bauordnungen der meisten deutschen Bundesländer schreiben die Errichtung von Kinderspielplätzen explizit vor, vielfach mit einer Altersgrenze für Kinder bis 14 Jahre, um so einen Schutzraum zu gewähren. Im digitalen Umfeld sind solche explizit für Kinder unterhalb eines bestimmten Alters gestaltete Angebote, die oft als Walled Garden bezeichnet werden, eher die Ausnahme und eine Verpflichtung, solche sicheren Bereiche zu schaffen, gibt es bisher nicht.Artikel 19 sowie 34 und 36 fordern dazu auf, Kinder vor Gewalt, sexuellem Missbrauch und Ausbeutung zu schützen. Heute muss dieser Schutz auch im Hinblick auf durch das Internet entstehende oder verstärkte Risiken interpretiert werden.
Die UN-Kinderrechtskonvention behält auch angesichts der Digitalisierung ihre hohe Relevanz und die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls hat oberste Priorität. Für die digitalisierte Lebenswelt von Kindern bedarf es nicht der Erweiterung der UN-KRK durch neue Artikel, vielmehr müssen die getroffenen Vereinbarungen neu verstanden, falls erforderlich durch eine ‚Allgemeine Bemerkung’ konkretisiert und auf die digitale Lebenswelt von Kindern angewendet werden. Aktuelle technische Entwicklungen der Digitalisierung, die sich in vernetzten Gegenständen wie Spielzeug oder Bekleidung unter dem Begriff „Internet der Dinge“ bereits abzeichnen, unterstreichen die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Begleitung und Beobachtung der Voraussetzungen für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.