FOKUS
Veröffentlicht am 14.09.22
Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet
Die Europäische Kommission hat am 11. Mai den Entwurf einer Verordnung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet vorgelegt. Dieser war bis zum 12. 09. zur Kommentierung für die Öffentlichkeit freigegeben und wird nun im parlamentarischen Verfahren über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren erörtert.
Der Verordnungsentwurf kann hier heruntergeladen werden.
Aus Sicht der Stiftung Digitale Chancen kommentieren wir den Entwurf wie folgt:
Wir begrüßen den Verordnungsentwurf ausdrücklich, da zum ersten Mal ein Gesetz in der EU einen grundlegenden und umfassenden Kinderrechteansatz verfolgt, der auf den Vorrang des Kindeswohls gemäß der EU-Grundrechtecharta Art. 24 (2) basiert.
Unter den in Erwägung gezogenen Optionen hat sich die EU-Kommission für den weitreichendsten Vorschlag (E) im Hinblick auf den Schutz von Kindern entschieden. Dieser betrifft die Erkennung, Meldung und Entfernung sowohl von bekannten Missbrauchsdarstellungen als auch von "neuem" Material sowie die Anbahnung von Kontakten zu Kindern in sexueller Absicht (Grooming). Die Verpflichtung zur Prüfung des Grooming-Risikos in Apps ist ein Meilenstein im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet.
Der Kampf gegen Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern muss mit einer Risikoabschätzung und Maßnahmen zur Risikominimierung durch die Diensteanbieter beginnen, denn Prävention ist entscheidend. Nur wenn sich diese Präventionsmaßnahmen als ineffizient erweisen, wird ein Verfahren eingeleitet, das zu einer Aufdeckungsanordnung führen kann. In der Verordnung wird transparent dargelegt, welche Schritte vor einer Aufdeckungsanordnung erforderlich sind und welche Garantien vorgesehen sind, um die Verletzung von Grundrechten weitestgehend zu verhindern. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Aufdeckungsanordnungen nur von einem Gericht oder einer nationalen Behörde auf der Grundlage eines gründlichen Validierungsverfahrens erlassen werden können. Jede Anordnung wird zeitlich begrenzt sein und sich nur auf eine bestimmte Art von Inhalten in dem jeweiligen Dienst beziehen. Sowohl die Forschung als auch Ermittlungsverfahren der Strafverfolgungsbehörden belegen, dass sexualisierte Gewalt Eskalationspfaden folgt; je früher diese Pfade gestoppt werden können, desto besser.
Wir erkennen die Notwendigkeit an, die Privatsphäre der zwischenmenschlichen Kommunikation zu schützen, dennoch muss die Verordnung auch private Chats berücksichtigen, weil die Täter*innen genau dort den Kontakt zu Kindern aufnehmen. Die Europäische Kommission sieht in dem Entwurf vor, mit Hilfe von Scanning-Technologien nach Verhaltensmustern zu suchen, die auf Missbrauch hindeuten, aber zunächst nicht den eigentlichen Inhalt der Kommunikation zu analysieren. Wir vertrauen auf die im Verordnungsentwurf bereits vorgesehenen strukturellen Schutzmaßnahmen, die eine unbegründete Überwachung der gesamten persönlichen Kommunikation verhindern.
Der Entwurf erkennt die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als wirksames Mittel zur Gewährleistung der Vertraulichkeit der Kommunikation an und schließt sie als Instrument ausdrücklich nicht aus (Abs. 26). Der Entwurf überlässt es den Anbietern, die geeignete Technologie zu wählen, stellt aber unmissverständlich klar, dass die Anbieter verpflichtet sind, Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Grooming in ihren Diensten zu erkennen und zu bekämpfen. Aus unserer Sicht sollten die Dienstanbieter bereits jetzt in die Entwicklung und den Einsatz solcher Technologien investieren, damit diese einsatzbereit ist, wenn der parlamentarische Prozess hoffentlich Mitte 2024 abgeschlossen wird und die neue Verordnung in Kraft treten kann.
Wir begrüßen den kooperativen Ansatz eines Europäischen Zentrums zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern, der ein wichtiger Bestandteil der Verordnung ist. Die für das Zentrum vorgesehenen Aufgaben müssen auf transnationaler Ebene angegangen werden, ohne die Arbeit der nationalen Behörden in Frage zu stellen. Lediglich der Zeithorizont von 8 Jahren bis zur vollen Funktionsfähigkeit des Zentrums ist zu lang. Wir erwarten von der Europäischen Kommission, dass sie schon jetzt vorbereitende Maßnahmen ergreift, damit dieses Zentrum im Jahr 2024 einsatzbereit ist. Es muss unabhängig von den Strafverfolgungsbehörden arbeiten, wenn auch in enger Zusammenarbeit mit Europol.
Die vorläufige Ausnahmeregulierung ist ein gutes Beispiel dafür, wie der nur scheinbar unüberwindliche Widerspruch zwischen Privatsphäre und Kinderschutz aufgelöst werden kann. Wie alle Menschen haben auch Kinder das unveräußerliche Recht auf Privatsphäre, wie es in Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention festgelegt ist. Auch haben sie das Recht auf Schutz vor jeglicher Form der Ausbeutung (Art. 34 - 36). Der Ansatz der Verordnung wird durch die Allgemeine Bemerkung Nr. 25 zu den Rechten des Kindes in Bezug auf das digitale Umfeld gerechtfertigt, insbesondere durch die Forderung nach besonderen Schutzmaßnahmen seitens der Staaten in Kapitel 12. Außerdem werden die Staaten in Paragraph 118 aufgefordert, keine von Kindern selbst erstellten sexuellen Inhalte zu kriminalisieren, die sie mit Zustimmung der abgebildeten Personenausschließlich für ihren eigenen privaten Gebrauch besitzen oder weitergeben. Wir regen an, dass die Europäische Kommission den Entwurf überprüft, um sicherzustellen, dass er auch mit diesem Absatz der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 vollständig konform ist.
Einen offenen Brief zivilgesellschaftlicher Organisationen zum dem Regulierungsentwurf finden Sie unter Sexueller Missbrauch - Offener Brief der Zivilgesellschaft an die EU