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FOKUS


Veröffentlicht am 13.10.22

„Achtung, das Produkt kann Spuren von Jugendmedienschutz enthalten!“

Jutta Croll, SDC / Torsten Krause, DKHW

Eine Arbeitsgruppe des Europäischen Komitees für Normung (CEN) und des Europäischen Komitees für elektrotechnische Normung (CENELEC) arbeitet zurzeit an der Standardisierung eines Rahmens für altersgerecht gestaltete digitale Dienste. Basierend auf den Vorgaben der 25. Allgemeinen Bemerkung zu den Rechten der Kinder im digitalen Umfeld, die der Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen im März 2021 verabschiedet hat, werden klare Leitplanken für die Gestaltung von Diensten, die an Kinder gerichtet sind oder von ihnen genutzt werden, formuliert. Diese europaweite Rahmensetzung kommt zur rechten Zeit und kann auch die Umsetzung der Vorsorgemaßnahmen gem. § 24a des ebenfalls in 2021 novellierten deutschen Jugendschutzgesetzes beflügeln. Das scheint eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten der neuen Regeln sinnvoll und erforderlich, denn die Bereitschaft der Diensteanbieter zur Verantwortungsübernahme hat noch deutlich Potenzial nach oben.

Im September hat das Unternehmen Electronic Arts Sports das Spiel FIFA 23 veröffentlicht, freigegeben von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle USK ohne Alterseinschränkung. Schön, wenn selbst Kleinkinder schon in die faszinierende Welt des digitalen Fußballs eintauchen können - man kann ja nicht früh genug damit anfangen, Kinder für den Sport zu begeistern. Kritisch wird es aber, wenn Kinder in einem wirklich faszinierenden Spiel mit so genannten Lootboxen dazu verleitet werden, ihr Spielergebnis durch den Einsatz barer Münze zu verbessern. Diese für einen Preis von 22,96 EUR per In-App-Kauf erhältlichen Lootboxen enthalten nach dem Zufallsprinzip zusammengestellte Inhalte, sind also teuer erkaufte Wundertüten. Selbst aufmerksame Eltern werden bei einem Spiel, das ab 0 Jahre freigegeben ist, nicht auf die Idee kommen, dass hier ein hohes Risiko der kommerziellen Ausbeutung von Kindern - und ggf. der Plünderung ihres eigenen Kreditkartenkontos - besteht. Bei den so genannten Micro-Payments - eine Bezeichnung, die bei Beträgen wie für die Lootboxen im Spiel FIFA 23 an sich schon fragwürdig ist - handelt es sich um ein für die Anbieter höchst lukratives Geschäft, in Deutschland wurden im Jahr 2021 insgesamt 4,2 Mrd. Umsatz mit In-App-Käufen gemacht.

§ 10 a JuSchG nennt als eines der Schutzziele des Gesetzes den Schutz der persönlichen Integrität von Kindern und Jugendlichen bei der Mediennutzung. Dieses Ziel bedarf einer weiten Auslegung, denn die Verletzlichkeit von Kindern liegt in ganz verschiedenen Bereichen und umfasst auch die Gefährdung durch altersunangemessene Spiel- und Kaufanreize. In § 10 b des Jugendschutzgesetzes ist geregelt, dass auch außerhalb der medieninhaltlichen Wirkung liegende Umstände der jeweiligen Nutzung des Mediums bei der Einstufung als entwicklungsbeeinträchtigend berücksichtigt werden können. Risiken durch Kauffunktionen, durch glücksspielähnliche Mechanismen, durch Mechanismen zur Förderung eines exzessiven Mediennutzungsverhaltens werden hier ausdrücklich genannt.

Die Freigabe von FIFA 23 ab 0 Jahre erfolgte im Rahmen eines regulären Prüfverfahrens im Juli 2022 nach Angabe der USK auf der Basis der aktuell gültigen USK-Leitkriterien. Mit der formalen Umsetzung der neuen Regelungen des Jugendschutzgesetzes wurde lt. USK in 2021 begonnen, bis Frühjahr 2023 soll diese abgeschlossen sein und erst dann werden die angepassten Leitkriterien für die Prüfung von Computerspielen in Kraft treten. Die bis dahin ausgesprochenen Altersfreigaben bleiben von den neuen Leitkriterien unberührt - sprich FIFA 23 bleibt auch weit nach der Jugendschutz-Novellierung ohne eine Kennzeichnung der damit einhergehenden Risiken. Auch wenn die USK in ihrer Stellungnahme argumentiert, dass die Entscheidung bzgl. der Altersfreigabe verfahrensrechtlich korrekt sei, darf man die Frage stellen, ob damit der Anbieterverantwortung für den Schutz der persönlichen Integrität von Kindern und Jugendlichen, der auch die Freiwillige Selbstkontrolle verpflichtet sein sollte, Genüge getan ist.

Der am 13. Oktober zum 25-jährigen Jubiläum der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimediadiensteanbieter e.V. (FSM) in Berlin vorgestellte Jugendmedienschutzindex 2022 konstatiert gegenüber den Vergleichszahlen aus 2017 eine größere Besorgtheit der Eltern; drei Viertel der Befragten nennen mindestens eine Sorge, insbesondere in Bezug auf Interaktionsrisiken ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. 72 Prozent wünschen sich, anhand entsprechender Kennzeichen sehen zu können, ob Onlineangebote für ihre Kinder geeignet sind. Deutlich, von 63 auf 80 Prozent, ist auch die Zahl der Eltern gestiegen, die den Freiwilligen Selbstkontrollen eine hohe Verantwortung für den Jugendmedienschutz zuschreiben. Davon glauben 59 Prozent, dass diese ihren Job eher gut bis sehr gut machen, ein deutlicher Anstieg um 16 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 und damit ein hoher Vertrauensvorschuss der Eltern in die Strukturen des Jugendmedienschutz, dem die Anbieter und Selbstkontrollinstanzen in gemeinsamer Verantwortungsübernahme nun Rechnung tragen müssen.

Impulse dafür gibt auch die für die Durchsetzung des JuSchG zuständige Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, indem sie mit den Anbietern in den Dialog geht und Maßnahmen für einen besseren Jugendmedienschutz verlangt. In einer Pressemitteilung vom 10. Oktober hat sie die Spieleanbieter aufgefordert zu erklären, welche Vorsorgemaßnahmen gegen Glücksspielgewöhnung und Abhängigkeitsmechanismen bei Kindern sie beabsichtigen in ihre Spielangebote einzubauen. Ein wichtiger Schritt, damit FIFA 24, 25, 26 … künftig mehr als nur Spuren von Jugendmedienschutz enthält. Und um die Aufforderung zu handeln für den in Köln ansässigen Anbieter EA Sports mit einem Song der Kölschen Band de Höhner schmackhaft zu machen: Wenn nicht jetzt, wann dann?