FOKUS
Veröffentlicht am 01.07.24
Gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen
Jutta Croll, SDCBerlin, 27. und 28. Juni: Sommertagung des Nationalen Rats, draußen ist es heiß, im neuen Konferenzzentrum angenehm kühl und es könnte sich eine Assoziation von Leichtigkeit einstellen, wären da nicht die schweren Themen auf der Agenda. Zwei Tage lang geht es um sexuelle Gewalt gegenüber Kindern, um Betroffene, die heute schon erwachsen sind und um die Aufarbeitung in Institutionen.
Unter dem Titel „Schon viel erreicht - noch viel zu tun zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt“ diskutieren am ersten Tag Christine Streichert-Clivot, Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes sowie Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Winfried Speitkamp, Landesbeauftragter für Kinderschutz im Freistaat Thüringen, Angela Marquardt, Renate Bühn, beide Mitglied im Betroffenenrat bei der UBSKM, Michael Groß, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. und Katja Adler, MdB, Stellvertretendes Mitglied der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission). Tatsächlich ist auf den Ebenen von Bund und Ländern viel geschehen seit Dr. Christine Bergmann im Jahr 2010 als erste Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs das Ehrenamt übernommen hatte und in ihrer bis 2011 dauernden Amtszeit weit über 10.000 Anfragen von Betroffenen persönlich bearbeitete. Als Meilenstein gilt der Kabinettsbeschluss vom 19. Juni 2024 über das so genannte UBSKM-Gesetz. Damit werden die Strukturen der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) und des Betroffenenrats gesetzlich verankert, und es soll ein Zentrum für Forschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen auf den Weg gebracht werden. Trotz aller Freude über diesen wichtigen Schritt, liegt noch Vieles im Argen, wie insbesondere die beiden Vertreterinnen des Betroffenenrates in der Diskussion betonten. Auch Vertreter*innen von Unterstützungsangeboten wiesen darauf hin, dass es an finanziellen und personellen Ressourcen mangele, der Fachkräftebedarf sei riesig.
Nach diesem Einstieg wurden die Themen in Fachforen vertieft. Dabei ging es um die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die Rolle der Jugendämter bei der Bekämpfung von sexuellem Missbrauch, um die Entwicklung von Schutzkonzepten an Schulen, um Landesbetroffenenräte in Deutschland und um kindgerechte Justiz sowie die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Als zum Ende des Tages Dr. Christine Bergmann verabschiedet wurde, gab es Tränen, aber es stellte sich auch die erhoffte Leichtigkeit ein, nicht zuletzt, weil sie als starke Stimme für die Rechte von Kindern eintrat und noch einmal mahnte, die Kinderrechte endlich im Grundgesetz zu verankern. Dies, so Bergman, sei nicht nur ein symbolischer Akt, sondern vielmehr ein Signal an die Gesellschaft, den Vorrang des Kindeswohls unmittelbar zu verwirklichen.
Der zweite Tag wurde mit zwei Vorträgen zum Thema „Kinder und Jugendliche im Netz vor sexueller Gewalt schützen - Über aktuelle Nutzungserfahrungen junger Menschen und technische Potenziale“ eröffnet. Überzeugend und fachlich hochkompetent informierten die beiden Sprecherinnen Ayla Askin und Dr. Dorothea Czarnecki über verschiedene Ansätze des Schutzes. Ayla Askin stellte die Peer-to-Peer-Beratung JUUUPORT e. V. vor, bei der sie sich ehrenamtlich als Teamerin engagiert und schilderte die Probleme, welche junge Menschen heute belasten und derentwegen sie bei JUUUPORT Rat und Hilfe suchen. Diese reichen von Cybermobbing und Cybergrooming über sexuelle Gewalt bis zu Sextorsion, d. h. die Erpressung mittels intimer Fotos.
Dr. Dorothea Czarnecki, die bei FORENSIK.IT GmbH die Abteilung Kinderschutz und Menschenhandel leitet, knüpfte daran an und erläuterte mit welchen forensischen Methoden kriminelle Handlungen im Internet bereits aufgedeckt werden können. Bei der so genannten ‚Financial Sextortion‘ gehe es darum, Nutzenden eindeutig sexualisiertes - häufig mit künstlicher Intelligenz generiertes - Bildmaterial zuzusenden, sie unter großen zeitlichen Druck zu setzen und zu einer Zahlung zu veranlassen. Die Aufgabe von FORENSIK.IT diene der Unterstützung der Aufklärungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden. So könnten beispielsweise Straftäter*innen mittels Datenauswertung überführt werden; eine hohe Zahl gleichzeitiger Chatverläufe, vielfach mittels Copy&Paste an hunderte Kontakte gleichzeitig versandte Chatnachrichten etc. gäben Evidenz eines auffälligen und einschlägigen Nutzungsverhaltens.
Anschließend erörterten die Teilnehmenden der Sommertagung in vier weiteren Fachforen Fragen sexueller Peer-Gewalt, wie Schutzkonzepte inklusiv gestaltet werden können, wie Psychotherapie sich auf die Glaubhaftigkeit Betroffener im Strafverfahren auswirken könne und welche Unterstützungsleistungen für von Menschenhandel betroffene Kinder und Jugendliche als gute Praxis gelten dürfen.
Mit einem Resümee und Ausblick auf die weitere Arbeit des Nationalen Rates endete die Veranstaltung. Berechtigt ist die Schlussfolgerung, dass schon viel erreicht werden konnte für den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig wirkte die Erkenntnis, dass die Herausforderungen auch angesichts der fortschreitenden Digitalisierung in Zukunft nicht kleiner werden, ebenso wie die Erwartung, welche auf der Umsetzung des UBSKM-Gesetz ruhen. Damit ist eine nachhaltige Basis der Arbeit des Nationalen Rates gewonnen und ein Ansporn der weiteren Vernetzung und fortgesetzt guten fachlichen Zusammenarbeit verbunden. Es gelte, so die einhellige Auffassung, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen und dabei Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen.