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FOKUS


Veröffentlicht am 18.07.24

Eene, meene, muh, wie alt bist Du?

Jutta Croll, SDC

Stellen Sie sich vor, sie haben drei Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren. Sie machen sich Gedanken, wie es mit Kita und Schule weitergehen wird, wenn sie demnächst auf‘s Land ziehen. Wo und wie sollen Paula, Emma und Laurin betreut werden, in welcher Umgebung fühlen sie sich wohl und wie kommen sie sicher dorthin? Welche schulische Laufbahn werden sie einschlagen und wie können dafür die besten Voraussetzungen geschaffen werden. Bei den schwierig zu treffenden Entscheidungen möchten sie externe Beratung und Unterstützung in Anspruch nehmen; und zwar anonym, ohne Preisgabe der Namen, des Geschlechts und des Alters ihrer Kinder und auf keinen Fall unter Vorlage von Ausweisdokumenten. Schön, wenn ein Bewusstsein für Datenschutz und Privatsphäre vorhanden ist. Das macht die Beratungsaufgabe zwar nicht einfacher, aber die beratende Einrichtung ist findig und kennt sich gut mit Internetrecherchen aus. Wie alt ist die Mutter? Was lässt sich daraus für das Alter der Kinder schließen? Fotos von den Kindern sind nicht zu finden, aber hat die Mutter nicht neulich erst auf xyz.com Deko-Ideen für eine Party zum 10. Geburtstag gesucht, in einer Tauschbörse einen Mädchenranzen für Zweitklässer angeboten und gepostet, dass sie aus der Stadt wegziehen will? Daraus lässt sich leicht ein Familienprofil zusammenstellen.

Genauso gehen zurzeit auch Plattformbetreiber*innen vor, wenn sie Art. 28 (2) des Digital Services Act einhalten und keine Werbung an Minderjährige ausspielen wollen. Sie werten Profildaten und gepostete Inhalte aus und analysieren das Nutzungsverhalten, um herauszufinden, wie alt ihre Kund*innen sind und wer jünger ist, als die Nutzungsbedingungen zulassen. Damit dringen sie tief in die Privatsphäre ihrer Nutzer*innen ein und verletzen - wenn auch in guter Absicht - möglicherweise weitere Persönlichkeitsrechte.

Wie es anders geht und wo der Einsatz von Altersverifikationssystem sinnvoll sein kann, um Nutzer*innen eine altersgerecht gestaltete Umgebung zu bieten, die Freiheiten und Schutz gleichermaßen gewährleistet, damit haben sich bei einem Multistakeholder-Dialog zur Altersfeststellung am 11. Juli 2024 in Brüssel rund 50 Expert*innen befasst. Veranstalter dieses Dialogformats, das im März in London bereits einmal stattgefunden hat, sind das Centre for Information Policy Leadership (CIPL) und die WeProtect Global Alliance. Teilgenommen haben eine ganze Reihe großer Plattformanbieter (VLOPs), Unternehmensverbände, Regulierungsbehörden und Regierungsvertreter*innen auf nationaler und Europäischer Ebene sowie Vertreter*innen von Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Unter den Teilnehmenden bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass Altersfeststellung nicht generell, sondern vorrangig bei risikobehafteten Angeboten durchgeführt werden sollte. Nicht alle Plattformen seien gleichermaßen riskant, zu dem sei das Verständnis des Gefährdungspotenzials abhängig von der jeweiligen Perspektive beispielsweise des Datenschutzes oder des Jugendschutzes. Ebenso stand außer Frage, dass ein einheitlicher Rechtsrahmen wünschenswert, aber sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene schwer zu erreichen sei.

Im Hinblick auf Verfahren der Altersfeststellung wurden verschiedene Ansätze erörtert. Die derzeitige Situation wird nach übereinstimmender Wahrnehmung als unzulänglich erachtet: Selbsterklärung des Alters könne nur mit flankierenden Maßnahmen zu halbwegs verlässlichen Ergebnissen führen. Gerätebasierte Verfahren sind hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre weniger anfällig, sie setzen jedoch eine aktive Einstellung des Nutzer*innenalters voraus, welches nicht überprüft wird, und bergen so im Falle der gemeinschaftlichen Gerätenutzung oder der Geräteweitergabe das Risiko einer unzutreffenden Alterseinstellung. Wenn die Alterseinstellung nicht jedes Mal angepasst wird, könnten Kinder Zugang zu altersunangemessenen Erwachsenenangeboten erhalten, ebenso könnten Geräte mit Kinderprofil für unbefugte Kontaktaufnahmen durch Erwachsene, z.B. Cybergrooming genutzt werden.

An anwendungsbasierte Methoden sind hohe Anforderungen hinsichtlich der Datenminimierung, des Schutzes der Privatsphäre und der Anonymität der Nutzenden zu stellen, dies könnte über so genannte Double Blindness erreicht werden. Damit werden Verfahren bezeichnet, bei denen weder die Altersangabe verlangende Plattform noch die verifizierende Stelle Kenntnis voneinander erlangen.

In der Erörterung zeigte sich eine hohe Bereitschaft aller an den verschiedenen Prozessen Beteiligten zur Verantwortungsübernahme. Dies wurde nicht nur in der fachlich fundierten und auf hohem Niveau geführten Beratung unterschiedlicher technischer Ansätze deutlich, sondern auch in der Bereitschaft dazu, in einem gemeinsamen Prozess mittels einer validen Altersfeststellung altersgerechte digitale Erfahrungsräume zu schaffen. In vier digitalen Arbeitsgruppen werden sich die Teilnehmenden in den kommenden Wochen mit Fragen der Regulierung und der Risikoabschätzung befassen, bevor im Herbst ein weiteres Vor-Ort-Treffen geplant ist.

Fazit: Der Zug in Richtung Altersfeststellung ist auf die Schienen gesetzt und angerollt. Wer sich an diesem offenen Prozess beteiligt, hat es auch in der Hand, die Weichen und Signale für eine Richtung zu stellen, die altersangemessene digitale Freiheitsräume schafft. Wenn dies gut umgesetzt wird, werden Privatsphäre, Anonymität und Datenschutz für alle Nutzenden gewahrt und zugleich die Schutzrechte von Kindern in digitalen Umgebungen mit ihren Freiheitsrechten in Einklang gebracht.