BERICHTE UND PUBLIKATIONEN
Allgemeine Bemerkung Nr. 25 (2021) - Kapitel VII: Gewalt gegen Kinder, Teil 2 - Kapitel VIII: Familiäres Umfeld und alternative Betreuung
Sexualstraftäter:innen können digitale Technologien nutzen, um Kinder in sexueller Absicht anzusprechen oder sich an sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet zu beteiligen, z. B. mittels Videoübertragungen in Echtzeit, durch die Erstellung und Verbreitung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs oder durch sexuelle Erpressung. Digital vermittelte Gewalt, sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch werden auch im vertrauten Umkreis bzw. sozialen Umfeld eines Kindes durch Familie oder Freunde, bei Jugendlichen auch durch Intimpartner:innen verübt und umfassen u.a. Cyberaggression z.B. in Form von Mobbing und übler Nachrede oder die Erstellung oder Weiterleitung von Texten oder Bildern mit sexuellem Inhalt ohne Zustimmung des:der Betroffenen, darunter auch von Inhalten, die die betroffene Person aufgrund von Drängen und/oder Nötigung selbst erstellt hat, sowie die Begünstigung von selbstverletzendem Verhalten wie Ritzen, suizidalem Verhalten oder Essstörungen. Haben Kinder solche Handlungen ausgeführt, sollen die Vertragsstaaten nach Möglichkeit Ansätze zu einer präventiven, schützenden und wiedergutmachenden Justiz verfolgen.
Die Vertragsstaaten sollen Kinder vor Gewalt im digitalen Umfeld mithilfe legislativer und behördlicher Maßnahmen schützen, einschließlich der regelmäßigen Überprüfung, Aktualisierung und Durchsetzung umfassender gesetzlicher, regulatorischer und institutioneller Rahmenbedingungen, die Kinder vor bekannten und neu auftretenden Gefahren durch alle Formen von Gewalt im digitalen Umfeld schützen. Solche Gefahren umfassen u.a. physische und psychische Gewalt, Verletzung oder Missbrauch physischer oder psychischer Art, Vernachlässigung oder Misshandlung, sexuelle Ausbeutung und sexuellen Missbrauch, Kinderhandel, geschlechtsspezifische Gewalt, Cyberaggression, Cyberangriffe und Informationskriegsführung. Die Vertragsstaaten sollen Sicherheits- und Schutzmaßnahmen im Einklang mit den sich entwickelnden Fähigkeiten des Kindes umsetzen.
Das digitale Umfeld kann nichtstaatlichen Gruppierungen, darunter auch als terroristisch oder gewalttätig bis extremistisch eingestuften bewaffneten Gruppen, neue Wege schaffen, Kinder für die Beteiligung an und Ausübung von Gewalttaten zu rekrutieren und auszubeuten. Die Vertragsstaaten sollen sicherstellen, dass ihre Gesetzgebung die Rekrutierung von Kindern durch terroristische oder gewalttätige bis extremistische Gruppen verbietet. Werden Kinder beschuldigt, Straftaten in diesem Sinne begangen zu haben, sollen sie in erster Linie als Geschädigte behandelt werden; im Falle einer Anklage sollen sie in die Zuständigkeit der Jugendgerichtsbarkeit fallen.
Viele Eltern und Betreuende benötigen Unterstützung, um das nötige technologische Wissen sowie die Fähigkeiten und Fertigkeiten aufzubauen, um Kinder in Bezug auf das digitale Umfeld zu unterstützen. Die Vertragsstaaten sollen sicherstellen, dass Eltern und Betreuende Gelegenheit erhalten, sich Medienkompetenz anzueignen, zu lernen, auf welche Weise Technologien die Kinderrechte fördern können, zu erkennen, wenn ein Kind im Internet Schaden erlitten hat, und angemessen zu reagieren. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei Eltern und Betreuenden von Kindern in benachteiligten oder besonders schutzbedürftigen Situationen gelten.
Bei der Unterstützung und Beratung von Eltern und Betreuenden im Umgang mit dem digitalen Umfeld sollen die Vertragsstaaten diese dafür sensibilisieren, die zunehmende Selbstständigkeit der Kinder und deren Bedürfnis nach Privatsphäre entsprechend ihren sich entwickelnden Fähigkeiten zu respektieren. Die Vertragsstaaten sollen dabei berücksichtigen, dass Kinder digitale Medien nutzen, damit experimentieren und sich dabei Gefahren aussetzen können, und zwar bereits in einem Alter, in dem Eltern und Betreuende dies unter Umständen noch nicht erwarten. Einige der beteiligten Kinder wünschen sich mehr Unterstützung und Ermutigung bei ihren digitalen Aktivitäten, vor allem, wenn die Kinder das Verhalten der Eltern und Betreuenden als strafend, allzu restriktiv oder nicht an ihren sich entwickelnden Fähigkeiten angepasst erleben.
Die Vertragsstaaten sollen berücksichtigen, dass die Unterstützung und Beratung von Eltern und Betreuenden auf einem Verständnis der Besonderheit und Einzigartigkeit jeder Eltern-Kind-Beziehung basieren sollen. Eine solche Beratung sollte Eltern dabei unterstützen durch gegenseitige Empathie und Achtung ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Schutz des Kindes und seiner wachsenden Autonomie zu halten, statt Verbote auszusprechen oder Kontrolle auszuüben. Um Eltern und Betreuende dabei zu unterstützen, ihre elterlichen Pflichten mit den Kinderrechten in Einklang zu bringen, sollen das Wohl des Kindes und seine sich entwickelnden Fähigkeiten im Vordergrund stehen. Orientierungshilfen sollten Eltern und Betreuende veranlassen, die sozialen und kreativen Aktivitäten und Lernerfahrungen der Kinder im digitalen Umfeld zu fördern. Sie sollten zudem nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Nutzung digitaler Technologien die unmittelbare Ansprache und Interaktion der Kinder mit Gleichaltrigen oder mit Eltern oder Betreuenden nicht ersetzen darf.
Für Kinder, die von ihren Familien getrennt sind, ist der Zugang zu digitalen Technologien von besonderer Wichtigkeit. Erwiesen ist, dass digitale Technologien zur Aufrechterhaltung familiärer Beziehungen von Vorteil sind, z. B. dann, wenn Eltern getrennt leben, Kinder in einer alternativen Betreuung untergebracht sind, wenn zwischen einem Kind und künftigen Adoptiv- oder Pflegeeltern eine Beziehung aufgebaut werden soll oder wenn Kinder in humanitären Krisensituationen mit ihren Familien wiedervereinigt werden. Die Vertragsstaaten sollen deshalb im Hinblick auf getrennte Familien unter Beachtung der Sicherheit und des Kindeswohls (best interests of the child) den Zugang zu digitalen Diensten für Kinder und ihre Eltern, Betreuende oder andere Beteiligte fördern.
Maßnahmen zur Verbesserung der Digitalen Integration sollen mit der Schutzbedürftigkeit von Kindern dort abgewogen werden, wo die Kindeseltern oder andere Familienmitglieder oder Betreuende das Kind gefährden könnten, unabhängig davon, ob sie physisch anwesend oder weit entfernt sind. Die Vertragsstaaten sollen dabei berücksichtigen, dass solche Gefahren unter Umständen durch Design und Nutzung digitaler Technologien entstehen können, z. B. wenn einer potenziell missbrauchenden Person der Aufenthaltsort eines Kindes preisgegeben wird. In Kenntnis dieser Gefahren sollen die Staaten einen Ansatz fordern, der integrierte Sicherheitskonzepte (Safety by Design) und Datenschutz durch Technikgestaltung (Privacy by Design) umfasst, und sicherstellen, dass Eltern und Betreuende sich der Risiken und Strategien zur Unterstützung und zum Schutz der Kinder bewusst sind.
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